ST. PAULI & PORTUGIESENVIERTEL

 

Das Herz ist wichtig

von H. Burdenski

 

Anfang der Achtziger beamten mich meine Eltern aus Polen direkt ins Portugiesen-viertel, ins Herz des Hafens. Während mein Vater bis heute Lechia Gdańsk die Daumen drückt, entwickelte ich mich zum Anhänger des FC Porto. Das nennt man heute wohl gelungene Integration. Die Hafenkante zwischen Michelwiese und Pinnas-berg wurde mein Abenteuerspielplatz. Der erste tiefe Lungenzug im dunklen Bismarck-schatten, der erste echte Kaffee im Transmontana und der erste volle Kuss auf einem Ponton der Landungsbrücken. Noch besser wurde es in der WG in der Kleinen Freiheit, wo ich meine Adoleszenz finalisierte. Dort entdeckte ich die große Freiheit und natürlich die Liebe zum FC St. Pauli. Meine Heimat musste anscheinend immer mit „P“ beginnen. Heute lebe ich in Eppendorf, das hat zumindest zwei davon. Auf

den Kiez zieht es mich immer zurück, täglich. Für Taxifahrer wie mich ist das Viertel wie ein Magnet. Die Leute werden wie magisch hierhergezogen und irgendwann auch wieder abgestoßen. Dabei bin ich natürlich gerne behilflich, in beide Rich-tungen. Doch manchmal schalte ich auf „besetzt“ und cruise allein durch die Straßen. Halte Ausschau nach alten Bekannten, die sich im Feiervolk immer gut ausmachen lassen. Oder ich lasse die Scheibe herunter, um die flotten Sprüche der Koberer zu hören: „Gepflegte Schweinerei hier!“ Das wird aber auch immer leiser. In der Nachbarwohnung lebten zwei ältere Herren der aussterbenden Gattung „Kommarinnhier-Anschnacker“. Einer der beiden half uns einst bei einem Wasserschaden, unser Dank war eine Flasche Mariacron, ein verschmähtes Partyüberbleibsel. Stunden später klingelte sein Mitbewohner: „Vielen Dank, Jungs, Manfred war zwölf Jahre trocken. Jetzt nicht mehr!“ Es dauerte einige Zeit, bis das schlechte Gewissen verschwand, aber wir grüßen uns heute noch herzlich. Denn Herzlichkeit hat sich hier bewahrt im Viertel. Auch wenn sie manchmal rau klingt, so wie Frau Ginnow aus dem Souterrain: „Sehr geehrte Mieter ich bitte Sie mir doch nicht Lebensmittel in meinen Garten zu schütten denn es kommen wieder Ratten. Die Brauchen wir nicht.“ Mit Garten meinte sie zwei  Quadrat-meter Grünstreifen vor der Haustür. Für mich ist sie die Mutter Teresa des Urban Gardening, gerade wegen ihrer  Recht-schreibschwäche, willensstark, ehrlich und – herzlich. Kein Wunder, dass das Herz zum Symbol des Viertels wurde, es steht für Liebe und baumelt an meinem Rückspiegel. Auch ich zeige Herz, die letzte Fahrt vom Kiez nach Norden ist bei mir immer frei.

 

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